Was sind Motive für die Migration nach Deutschland?
“Wir suchten Fachkräfte und es kamen Menschen.” Bei Talents2Germany helfen wir Ingenieuren, Softwareingenieuren und eben hochqualifizierten Fachkräften aus dem Nicht-EU-Ausland – also aus der ganzen Welt – nach Deutschland. Ich möchte Ihnen einen kurzen Einblick geben in die Menschen, die hierherkommen. Oftmals werden diese Menschen in einem Mischmasch aus Begriffen wie „Ausländer“, „Flüchtlinge“ und „Fachkräfte“ zusammengefasst. Deshalb möchte ich heute ein paar vielleicht überraschende Einblicke teilen. Dies ist keine wissenschaftliche Studie, sondern mein ganz persönlicher, subjektiver Eindruck aus hunderten, wenn nicht tausenden Gesprächen mit Menschen, die den Traum haben, nach Deutschland zu kommen.
Nigeria
Ich gebe Ihnen einmal das Beispiel Nigeria. Nigeria hat eine gewisse Reputation, teils auch zu Recht. Was mich jedoch sehr überrascht hat: Ein Teammitglied sagte einmal zu mir: „Mach dir um mich keine Sorgen, ich habe eine Ransom Insurance“ – eine Lösegeldversicherung also. Falls er mal gekidnappt wird, zahlt seine Versicherung. In Nigeria sind es oft die Leute, die etwas erreicht haben, die Angst haben müssen. Es sind die Performanten, die High Performer, die das Land verlassen müssen, weil sie selbst oder Familienangehörige bedroht und die Familien erpresst werden.
Oft gibt es gar keine andere Wahl, weil es unmöglich ist, die gesamte Großfamilie zu schützen. Man kann vielleicht das eigene Haus absichern, aber nicht die gesamte Großfamile. Das bedeutet, es sind häufig Menschen, die wirklich erfolgreich und leistungsstark sind, die dann, wenn sie es „geschafft“ haben, das Land verlassen “dürfen”: der leistungsstarke Teil der Kultur.
Indien
Auch aus Indien gibt es interessante Perspektiven. Nehmen wir Bangalore: Ich hatte Kandidaten, die zu mir sagten: „Eleonore, ich weiß, dass ich in Deutschland weniger verdiene, als ich aktuell verdiene. Ich verstehen den Unterschied zwischen Brutto & Netto. Ich verstehe das alles. Aber ich komme nicht nach Deutschland, um mehr Geld zu verdienen. Ich möchte mich persönlich weiterentwickeln. Ich möchte einfach noch einmal persönlich wachsen. Und ich habe gehört, dass Deutschland ein technologisch besseres Umfeld bietet, in dem ich noch etwas lernen kann.“
Länder des Subkontinents: Pakistan, Indien, Bangladesch usw.
In den Arabischen Emiraten oder Saudi-Arabien gibt es auch ein bemerkenswertes Phänomen. Viele Menschen aus Pakistan oder Indien, die dorthin eingewandert sind, bekommen dort eigentlich nie eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung. Selbst nach 20 Jahren müssen sie, wenn sie ihren Job verlieren, innerhalb von drei Monaten das Land verlassen – auch wenn sie erfolgreich sind, Kinder haben und ein Haus gebaut haben. Dann sagen sie: „Ich möchte in einem Land leben, wo ich eine langfristige Perspektive habe, für mich, für meine Kinder und für meine Enkelkinder.“ Diese Menschen schätzen Stabilität und Verlässlichkeit.
Kenia
Kenia ist ein weiteres Beispiel, da es dort sehr viele gut ausgebildete Menschen gibt, jedoch nicht ausreichend Institutionen und Jobmöglichkeiten. Dies möchte ich Ihnen als Bandbreite an Eindrücken geben, um zu zeigen: Nicht alle, die kommen, sind arm oder hilfsbedürftig. Viele kommen, weil sie leistungsbereit sind. Sie haben ein Bild von Deutschland, in dem Leistung, Fairness, Disziplin und Arbeitsethos zählen, und wünschen sich, in einem solchen Umfeld zu sein.
In gewisser Weise haben wir also (noch) eine Reputation. Denn die Menschen sprechen miteinander und erzählen Geschichten. Das Geschichtenerzählen wurde heute hier [im Rahmen des Fachkräftekongresses, Anm.d.Redaktion] auch angesprochen. Und wenn es etwas gibt, das wir tun können, neben der Verbesserung von Prozessen, dann ist es, immer wieder daran zu denken: Die Menschen schulden uns nichts. Es ist nicht immer ein Akt unserer “Güte”, freundlich zu sein. Respektvoller Umgang mit diesen Menschen ist eine zwingende Notwendigkeit, wenn wir wollen, dass High Performer hierherkommen, dann sind das oft Menschen, die unsere Hilfe gar nicht unbedingt brauchen.
Deutschland im Vergleich mit englischsprachigen Ländern
Diese Leute brauchen uns nicht zwingend; sie haben das Geld und könnten auch woanders hingehen. Wenn wir jedoch diese Zielgruppe nach Deutschland holen möchten, dann müssen wir besser werden. Das ist nicht optional, es ist ein Muss. Wir stehen als Deutschland in einem globalen Wettbewerb, in dem sich Leistungsträger aussuchen können, ob sie in die USA, nach Kanada, Australien oder zunehmend auch Länder wie Estland und andere Osteuropäischen Länder gehen. Wenn wir die Besten in Deutschland halten oder nach Deutschland holen wollen, dann ist es essenziell, dass wir eine respektvolle Kultur haben. Zum einen sind es unsere behördlichen und administrativen Prozesse, zum anderen ist es aber auch eine simple Freundlichkeit.
Ich möchte jedem von uns als Erinnerung rufen: Wir Deutschen sind im internationalen Vergleich oft sehr direkt in der Kommunikation. Viele empfinden das als respektlos, auch wenn es nicht immer so gemeint ist. Für jemanden, der gerade neu hier ist, kann es sehr schwer sein, sich daran zu gewöhnen. Am Anfang hilft es, einfach besonders freundlich und herzlich zu sein. Denn dies ist wahrscheinlich der Umgang, den diese Menschen aus ihrer Heimat gewohnt sind.
Stadtmarketing
Daran sollten wir denken, wenn es um das Thema Geschichtenerzählen und Stadtmarketing geht:
Menschen erzählen Geschichten. Sie erzählen von der einen Person bei der Ausländerbehörde, davon, was genau diese Person gesagt hat, wie sie sie angesehen hat, ob sie lächelte und wie sie die Fragen beantwortete. Das sind Geschichten, die die Menschen weitererzählen. Diese Geschichten formen letztendlich unser Marketing. Wenn wir die Besten gewinnen wollen, sollten wir dafür sorgen, dass sie positive Geschichten zu erhählen haben!